5.1. Die Natur ist ungütig: Sie behandelt die Schöpfung wie stroherne Opferhunde. Der Weise ist ungütig: Er behandelt die Menschen wie stroherne Opferhunde. Wie ist doch das Weltall wie ein Blasebalg! Leer, doch gibt es unerschöpflich Luft - Je mehr man es betätigt, desto mehr bringt es hervor. Durch viele Worte wird der Geist erschöpft. Besser ist es daher, sich an das Innerste zu halten. 5.2. Himmel und Erde kennen nicht Güte wie die Opferhunde aus Stroh sind für sie alle Dinge die Weisen kennen nicht Güte wie die Opferhunde aus Stroh sind für sie alle Menschen was zwischen Himmel und Erde ist gleicht es nicht dem Blasebalg? hohl und doch unversiegbar bewegt und immer mehr erzeugend Wortreichtum verarmt wahre lieber das Maß! 5.3. Himmel und Erde sind nicht gütig. Ihnen sind die Menschen wie stroherne Opferhunde. Der Berufene ist nicht gütig. Ihm sind die Menschen wie stroherne Opferhunde. Der Zwischenraum zwischen Himmel und Erde ist wie eine Flöte, leer und fällt doch nicht zusammen; bewegt kommt immer mehr daraus hervor. Aber viele Worte erschöpfen sich daran. Besser ist es, das Innere zu bewahren. 5.4. Himmelsgott und Erdgöttin sind nicht menschlich, Für sie sind die zehntausend Wesen wie stroherne Opferhunde. Der Berufene ist nicht menschlich, Für ihn sind die hundert Sippen wie stroherne Opferhunde. Der Zwischenraum zwischen Himmel und Erde Gleicht einem Blasebalg: Leer - fällt er nicht zusammen, Bewegt - bringt er immer mehr hervor! - Viel Worte zählen als ärmlich, Besser ists, den Inhalt zu bewahren.
stefan zweifel schreibt, auch wenn das aus diesem ausschnitt nicht unbedingt ersichtlich ist, über das lesen. über das unangeleitete und das angeleitete lesen, über die beziehung von autor und leser über den text und über den sinn und den unsinn, der drinsteckt. noch ein nachtrag zu suite française. es ist schade, dass dieses buch nicht zu ende gebracht werden konnte. ich bin mir sicher, dass die mängel an der geschichte die überarbeitete version nicht überlebt hätten. man könnte das buch kaufen, nur um sich an den sätzen zu erfreuen, denn irène némirovsky schreibt klar, klar, glasklare prosa. manchmal wandte eines der fohlen jean-marie, der neben dem zaun lag, den kopf zu, sah ihn mit seinem feuchten schwarzen auge an und wieherte fröhlich. jean-marie wurde nicht müde, sie zu betrachten. gerne hätte er die imaginäre geschichte dieser bezaubernden kleinen pferde geschrieben, diesen julitag geschildert, dieses land, dieses gehöft, diese leute, den krieg, sich selbst. er schrieb mit einem armseligen, halb zerkauten bleistiftstummel in ein kleines schulheft, das er an seinem herzen verbarg. er beeilte sich, irgend etwas in ihm beunruhigte ihn, klopfte an eine unsichtbare tür. beim schreiben öffnete er diese tür, brachte das, was zum licht drängte, in schwung. dann verlor er plötzlich den mut, empfand überdruss, müdigkeit. er war verrückt. was tat er da und schrieb törichte kleine geschichten, liess sich von der bäuerin verhätscheln, während seine kameraden in gefangenschaft waren, seine verzweifelten eltern ihn für tot hielten, die zukunft so ungewiss und die vergangenheit so schwarz war? doch während er so grübelte, sah er, wie eines der fohlen munter losrannte, stehenblieb, sich im gras wälzte, die hufe in die luft streckte, sich am boden rieb und ihn mit seinen vor zärtlichkeit und mutwillen glänzenden augen ansah. er suchte nach einer möglichkeit, diesen blick zu beschreiben, suchte sie voller neugier und ungeduld, mit sonderbarer,sanfter beklemmung. er fand sie nicht, verstand aber, was das kleine pferd empfinden musste, nämlich wie gut das frische, knackige gras war! wie unerträglich die fliegen! die freie, stolze luft, wenn es die nüstern hob und losrannte und ausschlug. rasch schreib er ein paar unvollständige, ungeschickte zeilen, aber es taugte nichts, es war nicht das wesentliche, aber das würde schon noch kommen. er klappte das heft zu und blieb endlich regungslos liegen, mit geöffneten händen, geschlossenen augen, glücklich und matt. irène némirovsky, suite française, s. 237/238 es ist kein wald- und wiesenbuch, keines über pferde und keines über unnütze jünglinge. es ist eines über menschen in frankreich während dem zweiten weltkrieg, über ihre flucht aus paris, über die besatzung der deutschen. vorbild dafür ist tolstois krieg und frieden, von den geplanten fünf teilen konnten nur zwei geschrieben werden, da die autorin im august 1942 in auschwitz umgebracht wird. ihre tochter, die das manuskript nach 60 jahren aufenthalt in einem koffer auffand, redet von einem tagebuch, das sie während dieser düsteren jahre geschrieben hat. alle personen, die sie beschreibt und kaum verändert hat, haben wir kennen gelernt. mein urteil bisher: ernst, echt, realistisch und nicht nur gemessen am druck, unter dem es entstanden ist: erstaunlich stark geschrieben. was / ob die zahlreich auftretenden personen alle miteinander zu tun haben - das werde ich noch herausfinden. Ein Kind, das schon die gleichen Schwierigkeiten mit der Zeit und mit den andern hat wie ein Erwachsener: es läuft, unter den andern Kindern, völlig ziellos im Garten herum, bleibt stehen, macht Anfangsbewegungen eines Spiels, die es sofort ratlos wieder abbricht; dann wieder kleine klägliche Nachahmungen der Lebhaftigkeit der anderen Kinder, aus dem Stand, völlig sinnlose, virtuos sein wollende, dabei nur sehr traurig lächerliche Handlungen im Kreis durch den Garten, Hüpfen, Sich-Anschleichen, Sich-um-sich-selber-Drehen, das alles unter all den anderen, die ihren Rhythmus haben, in einer völligen Einsamkeit; und als es einmal, ein einziges Mal, im Rhythmus mit den andern ist und ganz stolz zu denen hinschaut, wird es gar nicht bemerkt, und selbst die Hunde, zu denen es sich beugen will, laufen an ihm vorbei, und so geht es, die Hände auf dem Rücken, im Kreis weiter, scheinlebhaft manchmal aus der Traurigkeit aufhüpfend. Peter Handke, Das Gewicht der Welt, Eintrag vom 18. April, S. 113 Dunkel, Schneefall. Überstarke Darmwinde, nicht recht in Ordnung. Trank aber ein Tässchen Kaffee vorm Rasieren. Frühstück mit Kaviar. - Korrekturen. - Schneetreiben, nicht ausgegangen. (...) Nachmittags klares Wetter. - Erika las abends aus den "Zugvögeln", hübsch. - Böse Darmwinde ohne Ergebnis. Schwacher Magen. Thomas Mann, Tagebuch, 19.4.1954 (q) |
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