Freitag, 7. Oktober 2005

manchmal wandte eines der fohlen jean-marie, der neben dem zaun lag, den kopf zu, sah ihn mit seinem feuchten schwarzen auge an und wieherte fröhlich. jean-marie wurde nicht müde, sie zu betrachten. gerne hätte er die imaginäre geschichte dieser bezaubernden kleinen pferde geschrieben, diesen julitag geschildert, dieses land, dieses gehöft, diese leute, den krieg, sich selbst. er schrieb mit einem armseligen, halb zerkauten bleistiftstummel in ein kleines schulheft, das er an seinem herzen verbarg. er beeilte sich, irgend etwas in ihm beunruhigte ihn, klopfte an eine unsichtbare tür. beim schreiben öffnete er diese tür, brachte das, was zum licht drängte, in schwung. dann verlor er plötzlich den mut, empfand überdruss, müdigkeit. er war verrückt. was tat er da und schrieb törichte kleine geschichten, liess sich von der bäuerin verhätscheln, während seine kameraden in gefangenschaft waren, seine verzweifelten eltern ihn für tot hielten, die zukunft so ungewiss und die vergangenheit so schwarz war? doch während er so grübelte, sah er, wie eines der fohlen munter losrannte, stehenblieb, sich im gras wälzte, die hufe in die luft streckte, sich am boden rieb und ihn mit seinen vor zärtlichkeit und mutwillen glänzenden augen ansah. er suchte nach einer möglichkeit, diesen blick zu beschreiben, suchte sie voller neugier und ungeduld, mit sonderbarer,sanfter beklemmung. er fand sie nicht, verstand aber, was das kleine pferd empfinden musste, nämlich wie gut das frische, knackige gras war! wie unerträglich die fliegen! die freie, stolze luft, wenn es die nüstern hob und losrannte und ausschlug. rasch schreib er ein paar unvollständige, ungeschickte zeilen, aber es taugte nichts, es war nicht das wesentliche, aber das würde schon noch kommen. er klappte das heft zu und blieb endlich regungslos liegen, mit geöffneten händen, geschlossenen augen, glücklich und matt.

irène némirovsky, suite française, s. 237/238

es ist kein wald- und wiesenbuch, keines über pferde und keines über unnütze jünglinge. es ist eines über menschen in frankreich während dem zweiten weltkrieg, über ihre flucht aus paris, über die besatzung der deutschen. vorbild dafür ist tolstois krieg und frieden, von den geplanten fünf teilen konnten nur zwei geschrieben werden, da die autorin im august 1942 in auschwitz umgebracht wird. ihre tochter, die das manuskript nach 60 jahren aufenthalt in einem koffer auffand, redet von einem tagebuch, das sie während dieser düsteren jahre geschrieben hat. alle personen, die sie beschreibt und kaum verändert hat, haben wir kennen gelernt. mein urteil bisher: ernst, echt, realistisch und nicht nur gemessen am druck, unter dem es entstanden ist: erstaunlich stark geschrieben. was / ob die zahlreich auftretenden personen alle miteinander zu tun haben - das werde ich noch herausfinden.


Online for 8121 days
Last update: 14.02.06, 23:54
status
You're not logged in ... login
menu
... home
... topics

... Antville.org home
search
 

RSS Feed

Made with Antville



flickr

last.fm

furl

imdb


mail to quimbo | gmail | com