Montag, 4. April 2005
08.30 ich stelle mich hin bei 03.45, neben mir werden die letzten ganzkörperabfallsäcke gegen die morgendliche kühle ausgezogen und dann gehts auch schon los, vorne, wobei nichts zu sehen ist und auch nichts weiter passiert. dann eine welle vorwärts, zehn schritte und wieder stillstand, was die zu allem bereiten beine mächtig zu frustrieren scheint. dann gehts richtig los und bald sind wir auch über der startlinie mit dem chip am fuss, der so austauschbar wie er aussieht, doch die individuelle schnelligkeit aufzeichnet, wenigstens an einzelnen punkten. 08.32 ich glaube, das erste mal austreten zu müssen, obwohl ich natürlich vor dem start erst war (was ich dann tatsächlich auch muss, insgesamt dreimal, zuletzt in einen grossen blumentopf in der innenstadt, wobei ich gefilmt werde). um einen zu schnellen start zu vermeiden, renne ich absichtlich gemächlich und lasse mich von einigen überholen. 08.50 renn-interview mit radio drs, der wissen möchte, wie es um meine muskeln steht. super frage an einen marathonläufer nach ein paar minuten, ich versichere ihm, dass es gut läuft. dann ist seine puste aus und das interview fertig. 09.00 die erste blasmusik am strassenrand, grossartig! todernst sitzen sie da in ihren stühlen und blasen. es hat unzählige musikgruppen am strassenrand, die die so wichtige abwechslung vom einerlei des mitläufers in der masse bringen. als eine mal pause macht, ertönt sofort der ruf aus der masse: "blasen!" 09.15 wir passieren die goldküste, zollikon, küsnacht, erlenbach, herrliberg, die blochers sind nicht zu sehen, aber andere, echte bonzen, die sich für einmal herabgelassen haben. steht da im sonnenschein, ein paar um die 60 mit der kaffeetasse in der hand, der mann der etwas voluminöse und sehr authentische bankdirektor, es scheint nur das rote band um den bauch zu fehlen. ich suche den diener, bin aber zu schnell vorbei. 09.30 wir kreuzen die spitze des rennens und applaudieren den herren, die schon in meilen waren und wieder zürück, ein seltsames bild, die spitze: ein mann, von dem man den namen kennt, viktor röthlin, und sechs oder sieben schwarze namenlose gazellen mit röhrchenbeinchen im kreis um ihn. ich wünsche, dass er nicht gewinnt und es trifft ein. 09.40 es kommen erstmals grössere gruppen, nachdem die der spitze nachsprintenden meist alleine oder zu zweit unterwegs waren. immer wieder mal ein hopp urs beat maja den entgegenkommenden, die man kennt. ausser den kenianern an der spitze und einem mit einem russia-t-shirt glaube ich nur schweizer zu sehen, im läuferfeld, am strassenrand. während das schweizer strassenbild sonst vom fünftel ausländer bevölkert ist, scheint heute ausschliesslich der tag der anderen vier fünftel zu sein. (korrektur: es sollen über 80 nationen teilgenommen haben.) 09.50 wendepunkt in meilen, was hat es da leute! es geht etwas bergauf und um kurven, was ganz gut ist nach dem autobahnrennen bisher. drei bananenstücke sind verdrückt und zwei powerriegelstücke, es ist erstaunlich, welche sofort-power etwas essen gibt. faszinierender nur noch diese power-gels , die ab km 25 verteilt werden, die wirken tatsächlich innert sekunden (als hätte man sich beim laufen eine spritze in den arm gehauen.). geschmacklich ist so ein power-gel allerdings unsäglich. vanille schneidet noch am besten ab. green apple? denkste, ist undefinierbar. banane-erdbeer? naja. stell dir das doch einfach mal in gel-form vor. 10.15 entgegen kommen nun die langsamer gestarteten, ein zuversichtliches gefühl kommt auf und dann auch mitleid mit denen zwischen dem ersten und zweiten besenwagen bei km 10. 10.30 die hälfte ist geschafft, sättigungsgefühle machen sich breit. die zuschauer, der lange weg noch, wann kommt der nächste verpflegungsstand. zeit, sich zu mokieren über den 2m-läufer vor einem mit dem frauenarsch im engen höschen. oder über die wirklich sehr gelungene kombination von violetten hosen und gelbem shirt. oder über die nicht auszusterbende anhängerschaft von neongelb-neongrün-kombiniert. und da hinter dem auto eine fünfzigjährige, die auf beton pisst. und eine frau, die am rand steht und kotzt, was hat denn die bloss gegessen. wie war das nochmal mit der erhebung durch die niederdrückung anderer? das interessiert nun wirklich nicht. 11.00 wir laufen wieder in der stadt ein und ich warte auf den unweigerlichen, den unvermeidlichen hammer, der mir von allen prophezeit wurde. es kommt km 28 und ich fange an, zu überholen, es geht grad alles so leicht und einfach, es rennt, wie man sagt. das geht auch gut bis ca. km 32, dann wieder eine krise, aber keine echte. es kommt kein hammer, es verlängert sich nur die gefühlte distanz zwischen den kilometer-schildern. und ein paar schmerzen tauchen auf, schön abwechslungsweise. 11.30 innenstadt, überall sind menschen, die rufen und schreien, die gassen werden enger, die sonne scheint weiterhin, mir gehts wunderbar und ich werde übermütig und schlängle mich richtiggehend durch die masse der langsameren und seitenstecher-trottenden. am verpflegungsstand steuere ich effizienzawardwürdig tisch drei an und packe mit geschicktem griff die nötigen becher, während hinter mir an tisch eins die läufer einen übereinandergestolperten auflauf produzieren. ich leere mir das eine glas halb ins gesicht, halb in den mund und werfe das andere, das, wie ich sehen muss, unterdessen leer ist, an den strassenrand. 11.40 ein rocker und ein ordner, beide im vorpensionsalter, geraten aneinander. der eine mag sich nicht rumkommandieren lassen, der andere möchte die strecke sichern. ich freue mich auf die sogenannte altersweisheit. 12.00 die power-gels sind abgenützt, wasser ist nicht zu erblicken, während ich anfangs viele kilometerschilder nicht mal gesehen habe, bin ich überzeugt, dass die 39, die 40 und die 41 extra weit auseinander aufgestellt wurden, das kann einfach nicht sein, dass tausend meterchen so lange dauern. 12.05 der letzte verpflegungsstand in einer kurve, ich erwische einen becher pepsi und sprinte auf der stelle los auf der suche nach der verlorenen zeit, so wie ich jetzt noch alle überhole, muss ich ja zu langsam gestartet sein. nach ein paar metern holen mich die bereits verbrauchten kräfte wieder auf den boden zurück. 12.10 ich gebe nochmals alles, was möglich ist auf der zielgeraden und dann bin ich schon im ziel und da fällt mir ein, dass ich lächeln für das zielbild oder wenigstens die arme in winnerstellung bringen sollte, aber ich bleibe einfach stehen und es ist mir, als müsse ich lachen und weinen gleichzeitig. dann sagt mir ein mann: es sind nur noch ein paar meter und die geh ich dann auch brav, so gut es geht und torkel rüber in ein zelt, durch das man muss und wo einem ein finisher-shirt und ein medallie angedreht wird. 12.15 ich gehe sehr sehr langsam und vorsichtig zurück, werde aber auch nicht überholt. der direkte zugang zur zielgeraden ist mit gittern abgesperrt, ein marathonläufer erklettert es und springt auf der anderen seite runter. und heimst damit mehr bewunderung ein, als es irgendeine zeit vermocht hätte. nächster tag, fazit: ziel war a) ins ziel kommen am ersten marathon, b) unter vier stunden. resultat ist 3 stunden 43 minuten und das ohne die ausgemalten torturen. was bleibt: vier nebeneinander aufgereihte fussblasen, ein leichter sonnenbrand im gesicht vom nachmittag und für einmal das vorgezogene gefühl, 80 jahre alt zu sein. kann man das "ja, ein erfolg" nennen? |
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